Sind Pflanzenschutzmittel schuld am Amphibiensterben?
Seit etwa den 1990er Jahren mehrten sich Berichte über ein weltweites Amphibiensterben. Die Zahl der Frösche, Kröten und Lurche ging auf allen Kontinenten zurück und nahm teilweise dramatische Ausmaße an. Selbst in entlegenen Gegenden, die kaum von Menschen betreten wurden, starben die Tiere. Bei einer Bestandsaufnahme stellte sich heraus, dass es weltweit seit etwa den 1970er Jahren zu einem dramatischen Rückgang der Individuenzahl bei mehr als 500 Amphibienarten gekommen war und mittlerweile 90 dieser Arten als ausgestorben galten.
Sehr schnell kam der Verdacht auf, Pflanzenschutzmittel seien schuld am Amphibiensterben. Der Verdacht richtete sich vor allem gegen das Herbizid Roundup, nachdem eine US-Studie festgestellt hatte, dass kommerziell erhältliche Fertigpräparate mit dem Wirkstoff Glyphosat Kaulquappen töten konnten, wenn die Mittel direkt auf die Wasseroberfläche gesprüht wurden. Schon damals war jedoch bekannt, dass nicht der Wirkstoff selbst, sondern die als Netzmittel verwendeten Tallowamine (Polyoxyethylenamin/POEA) die Kiemen von wasserlebenden Tieren zerstören können. Tallowamine sind in der EU seit 2016 verboten und werden auch außerhalb der EU sowie von anderen Herstellern als Bayer in den meisten Formulierungen heute nicht mehr angewandt.
Seit dem Ablauf der Patente im Jahr 2000 wird der Wirkstoff in Produkten von mehr als 40 Herstellern vertrieben und in den letzten Jahrzehnten waren zu jedem Zeitpunkt 100 bis 150 deutlich unterschiedliche Formulierungen glyphosathaltiger Herbizide in verschiedenen Regionen auf dem Markt; allein in Europa waren 2012 über 2.000 verschiedene glyphosathaltige Produkte registriert. Leider wird in der Literatur häufig über die Folgen der Anwendung von „Glyphosat“ berichtet, ohne jedoch anzugeben, ob der reine Wirkstoff oder aber eine Formulierung und falls ja, welche, getestet wurde.
Auch eine neuere Studie, bei der verschiedene Pflanzenschutzmittel (Herbizide, Fungizide und Insektizide) auf ihren Einfluss auf Frösche getestet wurden, weist darauf hin, dass nicht die Wirkstoffe, sondern bestimmte Beistoffe, vor allem das aus Erdöl gewonnene Naphtha, den Tod von Fröschen verursachen. Naphtha ist als Beistoff in Pflanzenschutzmitteln allerdings in der EU nicht mehr zugelassen.
Seit einigen Jahren steht eindeutig fest, dass das weltweite Amphibiensterben nicht auf Glyphosat- oder glyphosathaltige Produkte zurückzuführen ist. Eine groß angelegte Studie in der Fachzeitschrift Science zeigt, dass die Ursache für die Katastrophe eine Infektionskrankheit ist, eine Pandemie, die durch Chytridpilze ausgelöst wird. Für das Forscherteam handelt es sich um den größten jemals aufgezeichneten Verlust an Artenvielfalt, der auf eine Krankheit zurückzuführen ist.
So wie die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus durch Handel und Globalisierung begünstigt wird, profitiert auch der Pilz von der Moderne. Vermutlich stammt der Erreger aus Ostasien und wurde durch den Handel mit Tieren und Pflanzen verschleppt. Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt halten sich exotische Amphibien als Haustiere und bepflanzen ihre Aquarien mit importierten tropischen und subtropischen Pflanzen. Der Pilz verbreitet sich in Zooläden sowie durch Aussetzen bzw. Verbringen infizierter Tiere oder Pflanzen aus Behältnissen mit infizierten Tieren. Vermutlich tragen Wasservögel, die sich in pilzinfizierten Teichen und Seen aufhalten, die Pilze in weitere Gewässer ein.
Hauptverursacher ist der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis. Er befällt die äußersten keratinhaltigen Hautschichten und sobald eine gewisse Dichte der Besiedlung erreicht ist, ist die Funktion der Haut beeinträchtigt. Amphibien haben nur eine einfache Lunge und nehmen einen großen Teil des benötigten Sauerstoffs durch ihre dünne, feuchte Haut auf. Die Haut dient auch der Regulation der Temperatur und des Wassergehalts. Ist die Haut stark befallen, können die Tiere nicht mehr atmen und ihr Wasser- und Temperaturhaushalt gerät durcheinander. 2013 wurde eine zweite Art des Pilzes entdeckt, die vor allem Salamander befällt.
Dennoch wurde weiter spekuliert, ob Pflanzenschutzmittel, zum Beispiel glyphosathaltige Herbizide, einen Co-Faktor bilden, der den Krankheitsverlauf und/oder die Sterblichkeit beeinflusst. Eine 2019 erschienene Publikation, die eine handelsübliche glyphosathaltige Formulierung verwendete, konnte bei niedriger Konzentration keinen Einfluss des Mittels auf die getesteten Holzfrösche beobachten. Bei untypisch hoher Konzentration zeigte sich jedoch, dass der Pilz dann mehr geschädigt wurde als die Tiere, so dass die Todesrate der Tiere sank.