Neue Partnerschaft mit Evotec: Gemeinsamer Kampf gegen eine Krankheit mit vielen Gesichtern
Millionen von Frauen auf der ganzen Welt leiden unter dem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS). Trotz der schwerwiegenden Symptome wird die Krankheit zu selten diagnostiziert und behandelt. Bayer und Evotec bündeln ihre Kräfte, um neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Ein Interview mit Beate Rohde, Leiterin der Abteilung Experimentelle Medizin Gynäkologische Therapien (GT), Oliver Martin Fischer, Principal Scientist und Pharmakologie-Experte in der GT-Forschung, und Christoph Huwe, Director Strategic Alliance Management in R&D Open Innovation. Sie werden die Umsetzung der Partnerschaft in den kommenden Monaten und Jahren maßgeblich unterstützen.
Was genau ist PCOS, und was bedeutet es für die betroffenen Frauen?
Beate Rohde: Frauen mit PCOS leiden an einer Kombination von Beschwerden und Symptomen, die mit einem Überschuss an männlichen Hormonen – den so genannten Androgenen – und einer gestörten Funktion der Eierstöcke zusammenhängen. Typischerweise zeigt die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke deutlich mehr Eibläschen (auch „Zysten“ genannt) als üblich, was der Grund für den Namen dieser Krankheit ist.
Oliver Martin Fischer: Das Hormonungleichgewicht verursacht eine unregelmäßige Menstruation und geht mit Anzeichen einer „Vermännlichung“ des weiblichen Körpers einher, wie z. B. starkem Haarwuchs im Gesicht und am Körper oder – im Gegensatz dazu – Haarausfall und Akne. Darüber hinaus kann PCOS auch den Stoffwechsel verändern. 80 Prozent der Patienten leiden an Fettleibigkeit und mehr als die Hälfte an einer Insulinresistenz, die zu einem hohen Blutzuckerspiegel führt. Dies kann langfristige Gesundheitsprobleme wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettleber und Arteriosklerose mit sich bringen..
Beate Rohde: Die gestörte Funktion der Eierstöcke führt auch zu Schwierigkeiten bei der Familienplanung. Man geht sogar davon aus, dass PCOS bei mehr als 80 Prozent der Patientinnen Unfruchtbarkeit oder Schwangerschaftskomplikationen verursacht. Die Tatsache, dass die Patientinnen Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden, sowie die Veränderung ihres Erscheinungsbildes stellen für die Betroffenen eine große psychische Belastung dar und beeinträchtigen ihre Lebensqualität erheblich.
Wie wird PCOS derzeit behandelt, und warum werden neue Optionen benötigt?
Oliver Martin Fischer: Das polyzystische Ovarialsyndrom ist eine häufige Erkrankung, von der weltweit bis zu einer von zehn Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter betroffen ist. Trotzdem wird sie häufig unterdiagnostiziert, da die Symptome von Patient zu Patient unterschiedlich sein können. Die Ursachen von PCOS müssen noch weiter erforscht werden, und es gibt derzeit keine Behandlung, mit der sich die verschiedenen Anzeichen und Symptome vollständig kontrollieren lassen. Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten sind sehr begrenzt und dienen im Allgemeinen dazu, einige der individuellen Symptome der Patientinnen zu mildern. So wird beispielsweise versucht, sekundäre Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes zu behandeln, den Menstruationszyklus durch orale Verhütungsmittel zu regulieren, Akne zu verbessern oder übermäßigen Haarwuchs zu reduzieren. Unsere Absicht ist es, dies gemeinsam mit unserem strategischen Partner Evotec zu ändern.
Worauf wird sich die Partnerschaft konzentrieren?
Christoph Huwe: Im Laufe unserer fünfjährigen Zusammenarbeit werden beide Unternehmen Wirkstofftargets, Leitstrukturen und eine umfassende Palette hochwertiger Technologieplattformen einbringen, um gemeinsam innovative Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Beide Partner bringen komplementäres Fachwissen auf dem Gebiet der reproduktiven Gesundheit bzw. des Stoffwechsels ein. Diese strategische Allianz wird auch Zugang zu Targets aus der kürzlich gegründeten Partnerschaft zwischen Celmatix Inc. und Evotec haben. Celmatix ist weltweit führend in der datengestützten Erforschung von Zielmolekülen mit Schwerpunkt auf Fruchtbarkeit und Frauengesundheit. Diese Kombination bildet eine vielversprechende Grundlage für unsere Forschungsaktivitäten.
Oliver Martin Fischer: Wir werden uns auf Stoffwechsel-, Entzündungs- und endokrine – also den Hormonhaushalt betreffende – Stoffwechselwege und deren kompliziertes Zusammenspiel konzentrieren. Um dies zu erreichen, nutzen wir die Vorteile eines breiten interdisziplinären Ansatzes, an dem eine Vielzahl von Funktionen in beiden Unternehmen beteiligt sind. Neben der Behandlung von PCOS werden wir auch unser Wissen über die reproduktive Gesundheit, einschließlich der Fruchtbarkeit, über die hormonelle Regulierung von Fettleibigkeit bei Frauen jenseits von PCOS sowie über die Ursachen von Lebererkrankungen im Zusammenhang mit dem Syndrom erweitern können.
Was sind die potenziellen Vorteile für die Patienten?
Beate Rohde: Unser Ziel ist es, Frauen mit PCOS neue Behandlungsmöglichkeiten anzubieten, um die Krankheit ganzheitlicher zu behandeln, anstatt nur einzelne Symptome zu bekämpfen. Dazu gehört auch die Behandlung von Sekundärerkrankungen und Komplikationen, die mit PCOS einhergehen und durch dieses verursacht werden, wie Diabetes oder Fettlebererkrankungen. Dies würde auch die Lebensqualität der Patientinnen insgesamt verbessern.
Wie wird die Zusammenarbeit aussehen?
Beate Rohde: Bayer und Evotec werden sich die Verantwortung für die Entdeckung und präklinische Entwicklung potenzieller klinischer Wirkstoffkandidaten teilen. Unser Unternehmen wird für die anschließende klinische Entwicklung und die Vermarktung verantwortlich sein.
Christoph Huwe: Evotec ist für uns bereits ein etablierter und geschätzter Partner. Im Jahr 2012 sind wir unsere erste Allianz eingegangen, aus der vier klinische Arzneimittelkandidaten für die Behandlung von Endometriose hervorgegangen sind, die sich derzeit in der Entwicklung befinden. Im Jahr 2016 haben wir eine zweite Forschungsallianz initiiert, um mehrere klinische Kandidaten für die Behandlung von Nierenerkrankungen zu finden. Beide Partnerschaften haben sich als sehr erfolgreich erwiesen. Wir freuen uns darauf, die Zusammenarbeit fortzusetzen, um neue Arzneimittelkandidaten zum Wohle der Patienten zu entwickeln.