Bahnbrechende Innovation mit Zell- und Gentherapien

Parkinson-Therapie – die Weichen werden neu gestellt

Grandfather and grandson sitting together

Stellen Sie sich vor, Sie antworten als Beifahrer auf eine dringende SMS, während das Auto gerade über Kopfsteinpflaster fährt. Stellen Sie sich vor, Sie gehen am Ende eines langen Tages ins Bett und können nicht länger als ein paar Minuten am Stück schlafen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit einem schweren Rucksack einen Berg hinauf. Stellen Sie sich ein Leben vor, in dem Sie jeden Tag darum kämpfen, die Kontrolle über Ihre Bewegungen zurückzuerlangen, weil die Botschaften, die Ihr Gehirn Ihrem Körper sendet, irgendwo auf der Strecke bleiben. 
 

Leider ist dies die niederschmetternde Realität für 10 Millionen Menschen, die an der Parkinson-Krankheit leiden – der weltweit häufigsten neurodegenerativen Bewegungsstörung. 

Was ist die Parkinson-Krankheit? 

1817 veröffentlichte der englische Arzt James Parkinson eine medizinische Abhandlung über eine chronische, langsam fortschreitende Erkrankung des Nervensystems, die durch eine Kombination aus Zittern, Steifheit und gebückter Haltung gekennzeichnet ist – die erste Beschreibung von Morbus Parkinson.i Später fanden Wissenschaftler heraus, dass Morbus Parkinson durch einen Verlust des Neurotransmitters Dopamin verursacht wird – eines chemischen Botenstoffs, der unter anderem für die Steuerung von Körperbewegungen verantwortlich ist. Die Parkinson-Krankheit beginnt oft mit einem unkontrollierbaren Zittern einer Hand und einem Gefühl der Steifheit im Körper. Mit der Zeit können sich weitere Symptome wie undeutliche Sprache, schlurfender Gang, Verlust des Geruchssinns und Demenz einstellen.ii  
 

Männer haben ein 50 Prozent höheres Risiko, an Morbus Parkinson zu erkranken, als Frauen, und bei den meisten Menschen treten die Symptome im Alter ab 60 Jahren auf.iv Mit der Zeit verschlimmern sich die Symptome, sodass einfache Aufgaben wie Treppensteigen, das Schreiben eines Briefes oder das Essen und Trinken äußerst schwerfallen und die Lebensqualität stark beeinträchtigen.iv  
 

Wie werden Parkinson-Erkrankungen derzeit behandelt?  

Selbst zwei Jahrhunderte nach der Entdeckung der Krankheit durch James Parkinson gibt es noch keine Heilung dafür. Die derzeitige Standardtherapie zielt auf eine symptomatische Linderung ab. Dr. Emile Nuwaysir, CEO und Präsident von BlueRock Therapeutics*, sagt: „Der Behandlungsstandard für die Parkinson-Krankheit, das Medikament, das wir zur Behandlung unserer Liebsten einsetzen, wurde vor 66 Jahren entdeckt. Das ist doch wirklich erstaunlich – umso mehr, wenn wir die Fortschritte betrachten, die in anderen Bereichen erzielt wurden. In der Luftfahrt haben wir es zum Beispiel in 66 Jahren vom ersten Flug der Gebrüder Wright bis zu Neil Armstrongs Spaziergang auf dem Mond geschafft.“
 

Zeitstrang Zell- und Gentherapie

 

In den späten 60er und 70er Jahren entdeckten klinische Forscher, dass sie Morbus Parkinson mit einer Dopamin-Ersatztherapie behandeln können. Durch den Ersatz des verlorenen Dopamins konnten zwar die Symptome gelindert und das Fortschreiten von Morbus Parkinson verlangsamt werden, jedoch wurde die eigentliche Ursache der Krankheit, der unumkehrbare Verlust von Nervenzellen, nicht bekämpft. Die Forscher stellten sich daraufhin die Frage, „Wie können wir verhindern, dass Nervenzellen degenerieren?“ Es sollte weitere zwei Jahrzehnte dauern, um die Antwort zu finden. 
 

Was wäre, wenn wir den Verlust von Zellfunktionen rückgängig machen könnten?

Zell- und Gentherapien stellen einen Paradigmenwechsel gegenüber den derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten dar und haben das Potenzial, die Behandlung von Krankheiten insgesamt zu revolutionieren. Diese Therapien konzentrieren sich auf die Ursache der Krankheit statt auf deren Symptome. Mit diesen Ansätzen könnten wir die Pathologie von Krankheiten wie Morbus Parkinson möglicherweise stoppen oder sogar rückgängig machen. 
 


Was ist Zelltherapie?

Bei der Zelltherapie werden gesunde, intakte Zellen gezüchtet und in den Körper eingebracht, um geschädigte Zellen zu ersetzen. Der menschliche Körper besteht aus etwa 200 verschiedenen Zelltypen, die darauf spezialisiert sind, jeweils eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Stammzellen sind Ursprungszellen, die keine Differenzierung durchlaufen haben und dazu gebracht werden können, sich in einen beliebigen Zelltyp zu entwickeln. Die bahnbrechende Arbeit der Nobelpreisträger John Gurdon und Shinya Yamanaka war ein Meilenstein auf diesem Forschungsfeld und ermöglichte es Wissenschaftlern, adulte Hautzellen in sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) umzuwandeln. Diese Zellen können mithilfe spezifischer Wachstumsfaktoren in die meisten Zelltypen differenziert werden – etwa in Herzmuskel-, Leber- oder Nervenzellen. 
 

BlueRock Therapeutics hat die Verwendung von aus Stammzellen gewonnenen Neuronenzellen zum Ersatz geschädigter Neuronen bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson untersucht und treibt nun eine Phase-1-Studie bei Patienten mit fortgeschrittener Parkinson-Krankheit voran. Die Therapie soll die motorische Funktionsfähigkeit wiederherstellen, indem Dopamin-übertragende Nervenzellen ersetzt werden, die durch Morbus Parkinson geschädigt sind. Die Studie könnte möglicherweise zeigen, dass Morbus Parkinson prinzipiell rückgängig gemacht werden kann, was wiederum einen enormen Schritt für Parkinson-Patienten weltweit bedeuten könnte. 
 

Was ist Gentherapie?

Jede Zelle trägt ihren eigenen, einzigartigen genetischen Code in Form von DNA, der für unterschiedliche Funktionen zuständig ist.
 

Gentherapie konzentriert sich auf die Verwendung von DNA als Medikament, um erblich-bedingte genetische Anomalien zu korrigieren oder krankheitsbedingt verlorengegangene Funktionen wiederherzustellen. Ein Ansatz besteht darin, ein funktionales Gen in gezielt hergestellte Viren einzufügen und dem Patienten zu verabreichen. Forscher von AskBio** untersuchen die Wirkung der Gentherapie mittels des Gliazelllinie-abgeleiteten neurotrophen Faktors (GDNF) zur Behandlung von Morbus Parkinson. GDNF ist ein Wachstumsfaktor, der die gesunde Funktion von Gehirnzellen fördert, indem der Spiegel dieses natürlich vorkommenden Wachstumsfaktors erhöht wird. So soll die GDNF-Gentherapie das Überleben und die Funktion der anfälligen Gehirnzellen fördern, die bei Morbus Parkinson degenerieren. Katherine High, MD und Präsidentin von AskBio sagt dazu: „Es ist unsere Aufgabe als Forscher, ständig den Status Quo zu hinterfragen und neue und unkonventionelle Wege zur Behandlung von Krankheiten zu erforschen. Wir befinden uns mitten in frühen klinischen Studien zu einer Therapie, die auf den hirneigenen Zellapparat einwirkt, um Zellen zu regenerieren. Die Forschungsergebnisse sind ermutigend, und wir sind gespannt, was dies für Menschen mit Parkinson bedeuten könnte.“


Für Menschen mit der Parkinson-Krankheit könnten Zell- und Gentherapien eine völlig neue Realität bedeuten, in der Behandlungsmöglichkeiten über die Symptome hinausgehen und in der die Krankheit gestoppt oder sogar rückgängig gemacht werden kann.

Fußnoten

*BlueRock ist ein biopharmazeutisches Unternehmen in der präklinischen Phase und eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Bayer AG 
** AskBio ist ein Unternehmen für Gentherapie mit Adeno-assoziierten Viren (AAV) in der klinischen Phase und eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Bayer AG

i Claire M. Gavin G, Annette H, Richard W, et al 200 Years of Parkinson’s disease: what have we learnt from James Parkinson?, Age and Ageing, Volume 47, Issue 2, March 2018, Pages 209–214, https://doi.org/10.1093/ageing/afx196
ii Parkinson’s Disease and its causes. Verfügbar unter https://www.medicalnewstoday.com/articles/323396. [Aufgerufen im März 2021]
iii Moisan F, Kab S, Mohamed F, et al Parkinson disease male-to-female ratios increase with age: French nationwide study and meta-analysis Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 2016;87:952-95
iv Parkinson’s Disease: Challenges, Progress, and Promise. National Institute of Neurological Disorders and Stroke. Verfügbar unter https://www.ninds.nih.gov/Disorders/All-Disorders/Parkinsons-Disease-Challenges-Progress-and-Promise. [Aufgerufen im März 2021]
 

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